Geschmackssache ...

MEINE MUSIK

Wenn ich hier von "meiner Musik" spreche, dann meine ich damit zunächst nicht die Musik, die ich selbst in meinen Bands spiele, sondern die Musik, die mir besonders gefällt. Das muß nichts Gegensätzliches sein, aber auch nicht unbedingt das Gleiche bzw. Selbe. Schließlich sage nicht nur ich recht häufig "...aah, das ist genau meine Musik ...", wenn ich irgendwo etwas höre, das mir gut ins Ohr geht.

Natürlich wird man als "kreativer" Musiker wohl kaum etwas spielen, mit dem man stilmäßig überhaupt nichts anfangen kann - wer gerne Schlager hört, würde sicher auch gerne Schlager singen, sofern sie/er singen kann. Und aus alten Rock-Viechern werden nun mal keine Schmuserocker ...

Man kann sicher endlos darüber diskutieren, was "meine Musik" letztendlich ist. Die Geschmäcker sind - zum Glück - sehr unterschiedlich, und jeder muß sich aus der Fülle von unterschiedlichen Stilrichtungen diejenigen heraussuchen, mit denen er leben kann und will. Erstaunlich ist es, daß fast niemand ohne Musik oder musikalischen Geschmack lebt - daß sich jemand nicht für Kunst, Literatur oder Sport interessiert, ist dagegen nicht so ungewöhnlich. Aber daß jemand niemals Musik hört und dabei keine bestimmte Richtung(en) bevorzugt, das gibt es wohl nicht. Von daher gesehen ist Musik wohl viel wichtiger als man denkt ...

Geschmackssache ...

Aber wie kommt man nun zu einem eigenem Geschmack ? Angeboren ist er sicher nicht ! Geschmack wird geprägt und natürlich vom kulturellen Umfeld beeinflusst, und das m. E. in einer bestimmten Zeit. Wenn ich auf meine persönlichen Erfahrungen zurückblicke, dann stelle ich fest, daß Pubertät und Geschmacksbildung anscheinend in etwa zeitgleich vonstatten gingen. Ich weiß nicht, ob das jemals untersucht worden ist, aber ich glaube, daß man die Musik, die einen durch diese Zeit begleitet hat, das ganze Leben über gerne hört.

Bei mir waren das zunächst mal die aktuellen deutschen Schlager aus den frühen 60er Jahren, die täglich aus dem Radio plärrten - zum Glück legte sich diese Geschmacksverirrung aber bald und ich fand immer mehr Gefallen an Liedern in englischer Sprache. Ein Titel ist mir noch besonders gut in Erinnerung - es war "Barbara Ann" von den Beach Boys, aber auch "In The Year 2525" von Zager & Evans hatte es mir angetan. In der Schule spielte Beat- oder Popmusik damals noch keine Rolle und wurde von vielen Lehrern fast verteufelt - trotzdem befassten wir uns im Musik-Unterricht bei Herrn Fehr mit [damals] moderner Musik, z. B. mit den Songs der Bee Gees. Allerdings riss mich das damals nicht vom Hocker - da gefielen mir die Sachen der Rolling Stones schon wesentlich besser. Richtig klasse fand ich dann z. B. "Brontosaurus" von The Move - obwohl es mir wahrscheinlich gar nicht so richtig bewußt war, war ich damit auf dem Weg zur Rockmusik. Diese Richtung wurde auch in den Radio-Sendern, die ich nach der Schule hörte, weiter geprägt - der Trend ging zum progressiven Rock, der Ende der 60er angesagt war. Man hörte von Jimi Hendrix und Woodstock, Deep Purple hatten mit "Black Night" ihren ersten Mega-Hit und "I'm Going Home" von Ten Years After war einfach nur genial ...

"I'm Going Home" - ALVIN LEE & TEN YEARS LATER (Rockpalast, 1978)

In den folgenden Jahren entwickelte sich auch in Deutschland eine ernstzunehmende Musik-Szene, die man als "Krautrock" bezeichnete und die mit Guru Guru eine herausragende Band hatte, die bei uns quasi "um die Ecke" (in Langenthal) lebte. Das steigerte natürlich das Interesse am Krautrock, aber die internationale Musik-Szene brachte in dieser Zeit zahlreiche Superstars hervor, um die man einfach nicht herum kam. Aus den Staaten hörte man von Creedence Clearwater Revival, Chicago und Santana - aus England Free, Black Sabbath oder Pink Floyd. Es ist schwierig, wenigstens die allerwichtigsten Interpreten zu nennen - die frühen 70er prägten die Rockmusik, und Interpreten wie Jethro Tull, Humble Pie, The Doors, Grand Funk, Canned Heat, Emerson Lake & Palmer und natürlich die Rolling Stones brachten ihre besten Alben heraus. Und viele davon wurden zu "meiner Musik" ...

Die 70er Jahre

In den 70ern liefen zunächst zwei Trends nebeneinander her - zum einen war ich natürlich stets an den Charts interessiert, aber zum anderen auch daran, über einzelne Bands mehr zu erfahren und mehr von ihnen zu hören. Das war zunächst nicht schwer unter einen Hut zu kriegen, denn die Stones, Led Zeppelin, Deep Purple, T. Rex oder Uriah Heep beherrschten die Szene - dann kamen aber die Bands, die mit leichterer Kost die Hitparaden eroberten. Slade, Sweet, die Rubbets, Middle Of The Road, Bay City Rollers und wie sie alle hießen. Wie einst in den Anfangstagen der Beatles und der Rolling Stones wurden die Pop-Fans in zwei Lager geteilt - die einen genossen die Musik der Album-Bands und machten sich daraus ihre eigenen Hitparaden, während die anderen immer neue, leicht verderbliche Fastfood-Musik konsumierten. Ich gehörte zu den Anhängern der "höheren musikalischen Werte" und schenkte all meine Bewunderung den großen "Musiker-Göttern". Mit Emerson, Lake & Palmer, Genesis, Grand Funk oder Deep Purple fühlte ich mich wohl - was dann ab Mitte der 70's die Punker mit ihrem einfachen, ungeschliffenen Primitiv-Rock zum Ausdruck bringen wollten, verstand ich zunächst nicht so richtig. Heute weiß ich, daß diese Entwicklung sein mußte und auch völlig richtig war - Musikmachen sollte doch etwas für alle sein und durfte nicht der Elite, die Musik zu einer technisch wie intellektuell unerreichbaren Kunstform machte, überlassen bleiben. Daß ich ganz nebenbei immer mehr Gefallen an den alten Rock'N'Rollern wie Chuck Berry, Little Richard oder Jerry Lee Lewis fand, war im Grunde meine Entdeckung einer anderen Art von Punk. Vom Rock'N'Roll zum Blues ist es dann nur noch ein kleiner Schritt ...

In den 70ern entwickelten sich aber nicht nur meine Vorlieben für bestimmte Musikrichtungen - der Wunsch selbst Musik zu machen wurde auch immer stärker. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob Alvin Lee's "I'm Going Home" oder ein anderer Song dafür verantwortlich war, aber ich wollte nie etwas anderes als E-Gitarre spielen. Ende 1971 kaufte ich von einem Kumpel eine Kent Gitarre, die zwar keine Offenbarung war, aber immerhin funktionierte. Man kann sicher nicht sagen, daß ich wie ein Bessesener übte, aber es verging trotzdem kaum ein Tag, an dem ich nicht "herumklimperte". Irgendwann ergab es sich dann, daß mit anderen spielen konnte und etwa '74/'75 hatte ich mit zwei Gleichgesinnten den Plan, endlich eine Band zu gründen. Leider wurde nie eine komplette Besetzung daraus und wir fanden auch nie einen festen Proberaum. Während meiner Bundeswehrzeit kam es auch zu einigen Aktivitäten - in der Grundausbildung (Kassel) probten wir einige Male, und später in Göttingen startete ich auch noch ein paar Versuche. Es wurde aber nie etwas Konkretes daraus, was jedoch bei der begrenzten Zeit, die man "beim Bund" verbringt, nicht verwunderlich ist. Auch nach dieser Zeit gab es noch ein paar Ansätze, aber meine erste feste Station war dann in der Big Band '75 - als Bassist ...

Die 80er Jahre

Die 80er gaben meines Erachtens musikalisch nicht viel her - es entwickelten sich Stile, mit denen ich wenig bis gar nichts anfangen konnte. In Deutschland tobte zunächst die Neue Deutsche Welle, die zwar stellenweise recht witzige Sachen hervorbrachte, ansonsten wurde aber fast nur Müll produziert. Die wenigen Ausnahmen wie z. B. BAP, Spider Murphy Gang oder Klaus Lage, die diese Phase "überlebten", hatten in Wirklichkeit nie etwas mit der NDW zu tun - sie wurden dadurch an die Oberfläche gespült und hatten endlich und zu recht Erfolg. Daran gibt's nicht auszusetzen, aber vielen deutschen Talenten blieb auch der Erfolg versagt, da sich die Plattenfirmen Bands und Interpreten, die nicht mit lustig-deutschen Texten ankamen, erst gar nicht anhörten. Und die echten NDWler versanken zum Glück wieder in der Versenkung.

In England entwickelte sich (aus "Heavy Music", wie Bob Seger es nannte) ein neuer Stil, den man fortan "Heavy Metal" nannte - die ersten Bands waren Saxon, Judas Priest oder Iron Maiden. Aus heutiger Sicht war das eigentlich gar nicht so übel, aber damals konnte ich nur wenig damit anfangen. Das hatte sicher auch damit zu tun, daß in meiner Platten-Sammlung immer noch jede Menge Scheiben aus der "guten alten Zeit" fehlten und ich viel Zeit und Geld in die Vervollständigung investierte. So ging sicher auch einiges an mir vorbei, das mir vielleicht gefallen hätte, oder das ich erst viel später entdeckte. Mit Stevie Ray Vaughan, der beim "Rockpalast" für Aufsehen sorgte, kam dann der Bluesrock wieder in Mode und weckte erneut das Interesse an technisch guten Musikern. Neben SRV kam ich so auch zu Gary Moore, der zwar damals noch harten Rock spielte, aber mir irgendwie besser gefiel als der übliche Metal-Kram. Andere "Guitar Heroes" aber waren mir aber oft zu technisch - "Musik für Musiker" schreckte mich bald ab.

Die Hitparaden-Popmusik war in den 80's von Synthesizern geprägt, die immer ähnlicher klangen und meistens verschwanden die Interpreten schnell wieder von der Bildfläche. Wer dauerhaft erfolgreich war, hatte sich häufig selbst aus den 70ern importiert - neue Top-Acts kamen kaum dazu. Wenn man mal von AC/DC, die es erst in den 80ern richtig schafften, absieht, war für mich nicht viel dabei ...

Privat fingen die 80's recht erfolgreich an - nach den Gastspielen in der Big Band und der Nachfolge-Formation Brassiv Smile hatte ich die Nase voll vom Bass und ich gründete mit Pit Schneider und Mario Finger die Jolly Gardener Band. Zunächst als Trio - später mit Hermann "Emerson" Schüler als Quartet. Aber auch hier war nichts von Dauer - Emerson stieg nach unserem ersten größeren Auftritt wieder aus, wurde von Uwe Frey und Jürgen Bauer ersetzt. Damit entstanden neue Probleme und nach gut anderthalb Jahren war die Jolly Gardener Band Vergangenheit. Eine neue Band, die mir zusagte, fand ich erst 1988/89 mit Borderline.

Die 90er Jahre

Es wurde musikalisch nicht besser in den 90ern - im Gegenteil : es schien, als ob alles, was wichtig und gut war, in den 70ern zurückblieb. Ein Großteil dessen, was "dem Volk" musikalisch vorgesetzt wurde, stammte aus den 70ern und 80ern und wurde gesampled und eingebettet in elektronische Beats. Wirklich Neues und Innovatives gab es anscheinend nicht mehr - oder es kam einfach nicht ans Licht. Der einzige Lichtblick war Grunge - zwar nicht mein Ding, aber immerhin ein Stil, in dem Sampler, Synthesizer und Computer keine Rolle spielten. Der Rest bestand aus Revivals oder musikalischem Fastfood ...

Zum Glück wurde es Ende der 90's wieder deutlich besser - irgendwann interessierten sich viele Jugendliche plötzlich wieder für Jimi Hendrix, Janis Joplin und Co. Mag sein, daß diese Kids durch die Schallplatten ihrer Eltern auf diesen "alten Stoff" gekommen sind, aber diese Entwicklung gab zumindest Hoffnung, daß sich in der Szene mal was Positives tat. Und wirklich - einige der neuen Bands waren durchaus erfolgreich mit Retro-Rock, vom Sound der Beatles geprägten Brit-Pop und ähnlichem. Gary Moore löste mit seiner CD "Still Got The Blues" ein Blues-Revival (ja, sogar einen regelrechten Blues-Boom) aus, das bis heute anhält - wenn auch in etwas abgeschwächter Form. Aber Blues war ja immer mehr als eine Mode-Erscheinung oder ein Trend ! Ich habe das Glück, daß ich in meinem näheren Umkreis häufig feine Rock- und Blueskonzerte besuchen kann, und die echten Handwerker unter den Musikern bewundern darf. Gute Musik wird für mich nicht unmodern ...

Das neue Jahrtausend

Den aufmerksamen Lesern wird's schon klar sein - in der aktuellen Popszene fand und finde ich auch nach dem Jahrtausendwechsel so gut wie nichts, was mich begeisterte. Ich wage sogar zu behaupten, daß das Angebot an Müll immer größer wurde. Die Hauptschuld daran, daß das Volk mit unnützem Rotz übergossen wurde, tragen m. E. die privaten TV-Sender wie SAT 1, RTL oder Pro 7. Mit Sendungen wie "Star Search" oder "Deutschland sucht den Superstar" gaukelte man der breiten Masse vor, bislang unentdeckte Talente aufspüren zu wollen. In Wirklichkeit spielen Talent und Können gar keine Rolle - man braucht für diese Sendungen lediglich ein paar schrille Figuren, die für einige Wochen interessant genug sind, um ausreichend Leute vor die Glotze zu locken. Was danach mit den "Superstars" passiert, ist völlig wurscht. Nur wenige haben das Glück, trotzdem noch von der Musik-Industrie für eine Art von Resteverwertung aufgenommen zu werden - immerhin kann man auf bereits bekannte Gesichter zurückgreifen, und den wirklichen Talenten (die es immer noch gibt) mit fadenscheinigen Ausreden weiterhin Abfuhren erteilen. Die Musik-Industrie jammert seit Jahren über stark zurückgehende Verkaufszahlen und sucht die Schuld daran überall - nur nicht bei sich selbst. Dabei passt die alte Weisheit "Gut Ding will Weile haben" auf nichts besser - nahezu alle bedeutenden Bands und Interpreten haben erst mit dem dritten oder vierten Album den wirklichen Durchbruch geschafft. Doch die Zeit zu Reifen und das Handwerk zu erlernen, gibt's heute nicht mehr - wer nicht schlagartig erfolgreich ist, wird gnadenlos entsorgt. Und allen, die davon träumen, eines Tages auch ein "Superstar" zu werden, will ich Folgendes mit auf den Weg geben: zum Superstar wird man nicht gewählt oder von Herrn Bohlen ernannt. Diesen Status muß man sich über Jahre hart erkämpfen, man muß vieles dafür opfern und es ist alles andere als toll oder angenehm. Und - man braucht nicht nur viel Talent, Ausdauer und Können, sondern auch die richtigen Beziehungen und jede Menge Glück ...

Gibt's trotzdem noch etwas, über das man sich freuen kann ? Klar doch - in letzter Zeit hat sich eine Szene (neben einigen Nachwuchs-Talenten, die Hoffnung machen) entwickelt, die für mich sehr vielversprechend ist. Ich will sie mal als "New York Blues Scene" bezeichnen, denn vieles davon ging von der Stadt aus, die eigentlich für alles Neue, Moderne und "Hippe" steht. New York und Blues miteinander in Verbindung zu bringen, war vor einigen Jahren noch ein schlechter Witz - heute ist das anders. Mit Bill Perry (R.I.P.), Larry McCray, Michael Hill oder Poppa Chubby hat sich bereits die erste Garde etabliert, die Elemente aus Jazz, Rock, Funk und Country in ihren Blues einfließen lassen und daraus einen feurigen musikalischen Mix anrühren. Und Derek Trucks oder Joe Bonamassa haben Mittelchen gefunden, die für den Blues wie eine Art Frischzellen-Kur sind - und ganz nebenbei auch noch ziemlich erfolgreich sind. Auch in Europa tauchen immer mehr (oder weniger) junge Musiker auf, die auf diesem Weg zu einem eigenen Stil finden - Bernard Allison, Julian Sas, Rudi Rotta oder Ana Popovic sollen hier mal stellvertretend genannt werden ...

 



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